Interview mit Jan Rosenthal – Der Studioleiter des HAW Studios am Berliner Tor

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So ist Jan zum Kraftsport gekommen

Dominik: Wie kommst du zum Sport? Wie zum Kraftsport?

Jan: Ich komme ursprünglich aus dem Handball, also aus einem Mannschaftssport. Auch in diesem Bereich wird Krafttraining in der Vorbereitungsphase genutzt, leider nur in der Vorbereitungsphase und nicht durchgängig die ganze Saison. Das würde vieles stark verbessern. Man würde Kraftwerte, Koordination, Stabilität im Rumpf, als auch Beweglichkeit mindestens erhalten – viel eher würde man das alles von Saison zu Saison verbessern können.

Eine Knieverletzung durch das Handballspielen hat mich zur Pause gezwungen. Bei so einer Verletzung fällt dir ganz schnell die Decke auf den Kopf. Du gehst von 4-5 Einheiten pro Woche auf gar keine mehr. Damit blieb mir nicht viel außer „pumpen“ zu gehen.

Aber so schmerzhaft wie das damals war – darüber bin ich auch zum Kraftsport gekommen und habe extrem viel an meiner Mobilität gearbeitet. Mittlerweile steht der Kraftsport vor dem Handball.

Jan
Jan kann den Ball jetzt noch härter ins Tor schmettern

Hättest du mich gesehen vor 10 Jahren… da war ich noch flexibel wie ein Amboss. Beim Handball braucht man diese Mobilität eben nicht zwingend, auch wenn sie sehr hilfreich ist. Wenn ich da manche Handballer sehe, wundere ich mich, dass ihnen noch nichts wehtun zu scheint.

Jan hat auch zuhause viele Bücher zum Thema und einiges an Ausstattung z.B. für „Mobility“ Training:

Bücher und Ausrüstung

Jan liest nicht nur Bücher und bildet sich bei Seminaren fort – er ist auch ein absoluter Praktiker.

Bei 87 kg liegt sein Kreuzheben PR bei 220 kg (>2,5 x Körpergewicht) und seine Kniebeuge bei 155 kg (>1,7 x Körpergewicht).

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Kreuzheben mit 190 kg:

http://youtu.be/fELx1eyMcf0

Kniebeuge mit 110 kg:

http://youtu.be/IGypz4ek0-s

Welche Fehler machen Trainierende?

Dominik: Wie sollte ein Einsteiger ins Training einsteigen?

Jan: Da habe ich folgende Faustregel: „Technik und Beweglichkeit vor Intensität“

Außerdem sollte es ein auf den Trainierenden und seine Ziele abgestimmter Trainingsplan sein, nicht der einer Freundin oder eines Kumpels.

Jeder der sich im Fitnessstudio anmeldet weiß erstmal alles. Er braucht also gar keinen Plan.

Dann fängt er an eine Übung zu machen und fragt ob man ihm einen Tipp geben kann. Und dann schaut man mal kurz über den Plan und muss überhaupt erstmal fragen: „Was ist dein Ziel?“

Dann muss man dem Trainierenden oft erklären, dass der Plan zwar ganz schick ist, aber der Plan gar nicht für ihn und seine Ziele geeignet ist.

Viele kommen eigentlich mit den gleichen Zielen ins Studio: Die allermeisten wollen „gut aussehen“.

Bei den Männern ist es vor allem „mehr Muskelmasse“ und bei den Frauen vor allem das Abnehmen. Man muss oft etwas genauer nachbohren bis man bei den eigentlichen Zielen ankommt. Häufig wollen sie das gar darüber reden was sie eigentlich wollen. Eigentlich denken sie „Ich bin zu dünn“ (gerade Männer) oder „Ich bin zu dick“.  Sie sagen aber oft nur „fit werden“ oder an der Gesäßmuskulatur und den Beinen hätte ich gerne etwas „straffere Muskeln“.

Öfters kommen sie auch mit gar keinen konkreten Zielen, sondern haben sich im Fitnessstudio angemeldet und denken „ich muss fitter werden“ (gerade zum neuen Jahr).

Die klare Zielsetzung ist aber ganz entscheidend dafür, wenn man Erfolg haben will. Wenn man nicht weiß wo man hin will: Wie will man in die richtige Richtung gehen?

Sehr oft hört man auch: „Welches ist die „beste“ Übung für den Bizeps?“

Es gibt nicht die „beste“ Übung und die „schlechteste“ Übung. Die beste Übung ist die Übung, die man regelmäßig ausführt und bei der man Fortschritte sieht.

Die eigentliche Frage ist, was die beste Übung für DICH ist.

Dominik: Wie hast du das Studio verbessert, seit du dort Leiter bist? (Eine detaillierte Vorstellung mit vielen Bildern gibt es hier.)

Jan: Wir haben einen Haufen neue Geräte und Ausrüstung besorgt um das Studio zu verbessern. Wir haben eine große, freie Mattenfläche erstellt auf der frei mit Kettlebells, Ringen, Plyoboxen oder auch Suspension-Trainern gearbeitet werden kann. Kleingruppen können darauf auch wunderbar zusammen z.B. Mobilität und Stabilität trainieren.

Das Studio spiegelt die Philosophie des Studioleiters wieder. Wenn ich nur den Bauch etwas trainieren will, dann brauch ich nur eine simple Matte und ein paar Geräte.

Ich will hier aber die Möglichkeiten für richtigen Kraftsport und vernünftiges Training anbieten.

Dominik: Es gibt ja viele unsinnige Trainingskonzepte – was fällt dir denn dazu ein?

Jan: Da fallen mir vor allem die Fußball Vorbereitungsvideos ein, wo sie auf dem Bosu Ball Liegestütze machen. Klar, man könnte sagen sie trainieren auch die Rumpfmuskulatur (Stichwort: „funktionelles“ Training).

Aber was bringt es einem Fussballer mit einer Hot Iron Stange und 2 kg links und rechts eine „Pseudo Overhead Press“ zu machen? Der braucht eigentlich eine vernünftige Kräftigung der Beine und des Rumpfes.

Stabilitätstraining und Koordination brauchen Athleten definitiv auch. Aber Kniebeugen nur auf einem Gymnastikball zu machen ist eine Zirkusübung.

Dominik: Wie stehst du zum Thema Übungsausführung im Studio?

Jan: Jeder darf hier so trainieren wie er möchte, aber es wird trotzdem auf die Technik und Übungsausführung geguckt. Wir achten darauf, dass es eine vernünftige Technik ist und keine absolute Katastrophe, damit keine Verletzungen entstehen können.

Es geht bei uns mehr ins athletische und freie Training. Klar wenn jemand ein Gerät benutzen will, kein Problem. Oder wenn jemand unter spezielle Problemen leidet (Verletzungen z. B.).

Aber wenn ich eine Kniebeuge mache – schau dir an welche Muskelgruppen da alle beteiligt sind. Da müsstest du Oberschenkelvorderseite, Oberschenkelrückseite, Rumpf stabilisieren, Hintern trainieren und Waden – das habe ich alles schon in einer Bewegung abgedeckt. Und habe einen vernünftigen Bewegungsradius und kann mir auch problemlos im Alltag die Schuhe zubinden.

Dominik: Das ist viel  mehr als in den meisten Fitnessstudios, wo die Trainer gar nicht wissen wie eine saubere Ausführung aussieht. Die denken sich dann beim Kreuzheben „Hey das Gewicht wird irgendwie nach oben bewegt. Das ist schon ok so.“

Jan: Genau. Aber unsere Trainer trainieren auch selber frei. Ich kann mich darauf verlassen, dass hier alle Kniebeugen und Kreuzheben beibringen können. Und sie auch selber machen können, damit sie herausfinden, wie es sich anfühlt Probleme dabei zu haben und sich zu verbessern. Damit es nicht nur die reine „Theorie“ ist und man die typischen Fehler bei den Grundübungen selber kennt.

Bei vielen freien Übungen und vor allem den Grundübungen muss von unserer Seite aus sehr stark drauf geachtet werden, den Trainierenden eine vernünftige Technik beizubringen, denn häufig fehlt es an einer guten Körperwahrnehmung um diese Übungen sauber auszuführen. Häufig kommt zu einer nicht ganz ausgeprägten Körperwahrnehmung auch eine eingeschränkte Beweglichkeit. An Körperwahrnehmung, Technik und Beweglichkeit wird hier viel in Kleingruppen mit entsprechend qualifizierten Kursleitern gearbeitet und es gibt sehr gute Erfolge bei den Trainierenden.
Das wäre ansonsten echt teuer und man muss erstmal einen Trainer finden.

Tiefe Kniebeugen von Jan
Saubere, tiefe Kniebeugen sind sehr gerne gesehen

Dominik: Warum hast du das gemacht? Was treibt dich an?

Jan: Mich treibt an, auf dem aktuellen Stand zu bleiben und keinen reinen Gerätepark und entsprechende Trainingspläne zu erstellen. Ich möchte den Trainierenden ein gutes Studio zum Trainieren ermöglichen, in dem ebenfalls eine gute Atmosphäre herrscht.

Atmosphäre im Studio

Dominik: In den Hochschulsport Studio gibt es sehr viele Studierende, Dozenten, Akademiker und Professoren – reihenweise schlaue Leute, mit denen man sich richtig gut unterhalten kann. Es gibt einige gute Studios in Hamburg (gerade Leistungsbezogene), aber wenige haben so ein angenehmes Publikum.

Jan: Ja, wir haben ein extrem angenehmes Klientel hier. Ein sehr entspanntes und recht junges Publikum. Andere Studios haben höhere Gebühren und bieten dann oft nur Gerätetraining an, weil nur die älteren Trainierenden das dann auch bezahlen.

Dominik: Gibt es noch irgendwelche Dinge du gerne erreichen möchtest?

Jan: Ich arbeite viel an meiner Mobilität – würde gerne einen Spagat machen, aber bin davon noch weit entfernt.

Und natürlich an meinen Schultern – aber geringe Mobilität muss da ja kein Problem sein. Beim Handball hab ich damit kein Problem. Die Schulter ist so stabil, da kannst du jemanden dran ziehen lassen: Da passiert nichts.

Trotzdem arbeite ich daran, dass meine Overhead Squats schöner werden. Da ist die Schulter noch der limitierende Faktor.

Die Hüfte ist schon viel besser geworden als früher und macht keine Probleme mehr. Da arbeite ich aber auch schon sehr lange dran.

Dominik: Was würdest du den meisten Trainierenden empfehlen um an ihrer Beweglichkeit zu arbeiten?

Jan: Die Tiefe Hocke – mit Gewicht oder ohne. Je nachdem wie die Person sich anstellt.  Dabei dann in alle Richtungen bewegen (im Fußgelenk nach vorne und hinten und zu den Seiten) und dann auch Oberkörper rotieren – damit kannst du sehr viel abdecken. Du zwingst damit die meisten Leute nach 2 Minuten sich wieder hinstellen zu müssen, weil sie die Position muskulär noch gar nicht halten können. Das muss erstmal trainiert werden

Ich habe auch durch viel Arbeit an meiner Sprunggelenksmobilität und der Plantarfaszie meine Achillessehnenprobleme in den Griff bekommen. Dort hatte ich so starke Schmerzen, dass ich die Sehne fast gar nicht anfassen konnte.

Erst hatte ich probiert 8 Wochen nichts zu machen. Aber ohne Erfolg. Das zeigt wieder, dass eine komplette Pause genauso wenig bringen kann, wie zu viel Sport zu machen.

Davor hatte ich es noch mit exzentrischem Training probiert (was mir schon früher geholfen hatte). Aber ohne Erfolg. Das zeigt wie wichtig es ist mit dem richtigen Werkzeug an das Problem ranzugehen. Deswegen auch nicht nur an dem einen oder dem anderen Gelenk rummobilisieren, sondern immer wieder ausprobieren bis man etwas findet, das hilft.

Mit viel Hüft-, Fuß und Zehengelenksmobilisierung, sowie viel Arbeit an der Unterseite des Fußes bin ich die Schmerzen dann aber losgeworden.

Dominik: Was machen Leute immer wieder ganz falsch? Wo fasst du dir nur an den Kopf?

Jan: Es ist der klassische Fall: Leute kommen und müssen ganz viel machen.

Das Training ist ihnen sonst nicht produktiv genug. Nach dem Prinzip: Ich muss einen kräftigen Reiz spüren, damit ich weiß „das hat etwas gebracht“. Muskelkater und Erschöpfung ist aber nicht ausschlaggebend dafür, ob das Training produktiv war!

Es ist diese Bootcamp Methode: „Mach mich fertig. Ich will nach eine Dreiviertelstunde hier rauskriechen und total ausgepowert sein.“ Da wird Anstrengung mit Fortschritt verwechselt.
Als würde man in die Uni gehen und sich das Buch gegen den Kopf schlagen und sagen: „Mein Kopf tut weh – das war eine produktive Lerneinheit“.

Jan: Und nächstes Mal muss man ein schwereres Buch nehmen. 😉

Dominik: An welche schädlich Mythen glauben die Leute immer noch? Wovon musst du sie erst “deprogrammieren”, wenn du mit ihnen anfängst zu arbeiten?

  • Squats: Mein Physio sagt Knie hinter den Fußspitzen lassen. Schau dir Frontkniebeugen an – das hängt vom individuellen Schwerpunkt ab. Versuch mal da deine Knie hinter deinen Fußspitzen zu halten. Dann sitzt du auf dem Hosenboden oder du kannst die Stange gar nicht halten. Das funktioniert gar nicht.
  • Kraftausdauer zur Definitionsphase (auch wenn das weniger wird)
  • Viel hilft viel
  • Bei den Frauen: Das ist kein richtiger Frauentrainingsplan, da bekomme ich zu große Muskeln!

Dominik: Hat sich die Fitnessindustrie in den letzten Jahren verändert? In welche Richtungen?

Jan: Meiner Ansicht nach hat sich die Fitnessindustrie wieder stärker in Richtung freie Übungen wie Deadlift, Squats, aber auch Calisthenics und Gewichtheben orientiert. Die Mobilität ist auch wesentlich wichtiger geworden. Verständlich, schließlich braucht man für die freien Übungen auch mehr Beweglichkeit.

Calisthenics Übungen und Freeletics sind besonders populär – gibt auch den einen oder anderen der einen Handstand können möchte. Ich auch. 😉

Frauen und Fitness

Dominik: Wie sieht es denn bei Frauen aus?

Jan: Man sieht immer noch viele Frauen die vor allem an die Abduktion- und Adduktionsmaschinen gehen (für die Beine), aber auch immer mehr die Kniebeugen und Kreuzheben machen.

Dominik: Ich habe im Studio sogar schon sauberes Überkopfdrücken gesehen. Fand ich sehr beeindruckend das mit sauberer Technik zu sehen.

Jan: Die Frauen würden sich da nie zuviel Gewicht draufpacken. Männer müssen (zu) viel Gewichte draufpacken nach dem Motto „viel hilft viel“. Und bei Frauen geht da oft noch mehr.

Dominik: Vielen Dank für das Interview!


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